Interview mit Leander Wattig

VITA

Leander Wattig ist Blogger und unterstützt als freier Berater führende Medienunternehmen und Kreativschaffende beim Marketing im Social Web. Mit der Initiative „Ich mach was mit Büchern“ trägt er zur stärkeren Vernetzung der Buchbranche bei. Zudem engagiert er sich als Vorstandsmitglied der Theodor Fontane Gesellschaft und als Lehrbeauftragter an Hochschulen.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Der Mensch ist recht gefestigt in seiner Anlage, weshalb ich nicht glaube, dass uns das Internet allzu sehr verändern kann. Es ist ja eher so, dass Plattformen wie bspw. Facebook erfolgreich sind, die sich unserem natürlichen Verhalten und unseren Bedürfnissen geschickt annähern und nicht versuchen, uns zu verbiegen oder uns ein künstliches Verhalten aufzuzwingen. Das versuchen eher Unternehmen, die ihr veraltetes Geschäftsmodell konservieren möchten. Eine allgemeine Kindersicherung fordern deshalb vielleicht am ehesten die, welchen die ganze Richtung nicht passt. Kompetenz und Souveränität im Umgang mit dem Internet sind natürlich trotzdem gefordert – wie bei jedem anderen Instrument auch.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Die Dinge haben immer Vor- und Nachteile. Letztlich müssen wir als Gesellschaft verhandeln, wie wir mit den neuen technischen Möglichkeiten umgehen möchten. Dass die möglichen negativen Auswirkungen neuer Technik einfacher und schneller erkennbar sind als die positiven Folgen, liegt in der Natur der Sache. Daher fällt ein Ablehnen immer leicht. Die positiven Effekte müssen erst erkundet werden, was eben aufwändiger ist.

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Man könnte fragen, wer denn ein solches Bild zeichnet? Das tun in starkem Maße die klassischen Medien, deren bisheriges Geschäftsmodell durch das Internet besonders stark gefährdet wird. Ich denke, hier darf man – auch ohne gleich als Verschwörungstheoretiker zu gelten – einen gewissen Zusammenhang vermuten. Hinzu kommt aber wie gesagt, dass sich mit dem Aufzeigen von Gefahren eher Auflage machen lässt, als wenn man versucht, für die Leser oder Zuschauer unbekannte und sehr abstrakt wirkende Vorteile zu umschreiben.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

Neben Regierungen spielen hier auch Unternehmen eine wichtige Rolle. Vor allem aber denke ich, dass wir alle immer stärker Daten über uns selbst sammeln und auswerten werden – Stichwort „The Quantified Self“ -, weil wir Vorteile aus der dann möglichen Selbst-Optimierung ziehen. Wir sind also zunehmend unser eigener Big Brother. Ziel sollte bei all dem aber immer die souveräne Datenkontrolle durch den Einzelnen sein. Komplex wird das Ganze durch Daten, die nicht einer Person allein gehören, wie es bspw. bei Gesprächsinhalten der Fall ist.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Ist das wirklich so oder ist das ein Klischee? Hilfreiche Zahlen dazu kenne ich kaum,

weshalb ich nur vermuten kann. Vielleicht spielt aber eine Rolle, dass wir eben recht gründlich sind, sodass wir die Dinge von allen Seiten betrachten – auch von den eher negativen. Das ist ja eine Eigenschaft, die uns auf vielen Feldern Großes leisten lässt. Und dass die Deutschen nicht von Natur aus technik-scheu sind, zeigen unsere führende Rolle in vielen Wirtschaftszweigen und auch die jüngere Technikgeschichte, die sehr stark von Deutschland mitgeprägt wurde. Vielleicht muss den Deutschen nur wieder mehr Lust auf Technik und Unternehmertum gemacht werden. Sendungen wie die Doku-Reihe „Start me up – Die Existenzgründer“ müssten halt auch mal direkt im ZDF laufen und nicht nur bei ZDFneo. Diesbezüglich machen viele andere Länder tatsächlich einen besseren Job als wir.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Das ist natürlich eine der großen Frage unserer Zeit, die sich nicht in zwei Sätzen beantworten lässt. Nicht ohne Grund wird die Debatte so intensiv geführt. Am Ende muss es darum gehen, zunächst einmal nüchtern und vorurteilslos zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren, welche neuen technischen Rahmenbedingungen wir durch das Internet und die Digitalisierung haben und wie diese sich auswirken. Hier wird mir zu oft ideologisch argumentiert. Nachfolgend muss es dann darum gehen, wie wir einen win-win-orientierten Ausgleich finden können, der die Interesse möglichst vieler Beteiligter zum Wohle der Gesellschaft berücksichtigt, ohne dabei ungerechte Bürokratiemonster aufzubauen, wie ich das für die oft geforderten Kulturflatrate-Ansätze befürchte.

Sie haben mit „Ich mach was mit Büchern“ im Jahr 2009 eine Initiative für eine stärkere Vernetzung der Buchbranche gegründet. Mittlerweile hat Ihre Facebookseite fast 12.000 „Gefällt mir“-Angaben. Weshalb kommt Ihre Initiative im Netz so gut an?   

Ich biete der Buchbranche, die sich in vielerlei Hinsicht als eine Gemeinschaft begreift, eine Plattform für den persönlichen (Erfahrungs-)Austausch, die es vorher so nicht gegeben hat. Gerade in Zeiten des Umbruchs, wie ihn die Buchbranche aktuell erlebt, ist dieser Austausch sehr wichtig, weil niemand das Patentrezept für die Zukunft kennt und wir alle voneinander lernen können. Weil ich das sehr wichtig finde, habe ich auch weitere in der Buchbranche stark wahrgenommene Vernetzungsinitiativen wie den Virenschleuder-Preis gestartet, den wir in Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse ausrichten. Dort geht es um den Erfahrungs-Austausch im Bereich des Marketings.

Crowdfunding ist bereits im Film- und Musikbereich in aller Munde. Was halten Sie von Crowdfunding in der Buchbranche?

In der Buchbranche ist das auch ein großes Thema. Der Ansatz an sich ist ja uralt und wird vor allem dort gewählt, wo es sozusagen ein Geschäftsmodell-Problem gibt. Denn wenn die Leute leicht Geld verdienen können, brauchen sie auch kein Crowdfunding bzw. dann gibt es keinen Grund für die Zielgruppe, freiwillig Geld zu geben. Da aber auch in der Buchbranche klassische Geschäftsmodelle immer stärker unter Druck geraten und tragfähige Alternativen rar sind, schauen sich vor allem die Autoren und anderen Kreativen nach neuen Wegen um. Es gibt einige Autoren wie bspw. Jan C. Rode, die bereits erfolgreich Crowdfunding betrieben haben. Das wird noch häufiger werden.

Immer mehr Autoren verlegen ihre Bücher selbst. Was braucht ein Autor, um sein Buch erfolgreich im Netz zu vermarkten?

Er braucht vor allem Fans und einen direkten Zugang zu ihnen. Nur dann kann er ihnen auch etwas verkaufen. Je direkter und nachhaltiger der Autor Beziehungen zu seinen Lesern pflegt, desto unabhängiger ist er vom Zufallserfolg einer einzelnen Buch-Veröffentlichung. – Was hier vielleicht einfach klingt, ist in der Praxis aber durchaus eine Herausforderung. Nicht unterschätzt werden darf bspw. der Zeitaufwand für die Eigenvermarktung. Daher werden auch Verlage und andere Dienstleister nicht verschwinden, sondern mehr denn je gefragt sein.

Der Autor muss beim Self-Publishing sein Werk gestalten und den Vertrieb selbstständig organisieren. Was sind Ihrer Meinung nach die häufigsten Vermarktungsprobleme bei angehenden Autoren?

Probleme gibt es viele. Ein Problem scheint mir zu sein, dass wir in Sachen Selbstvermarktung in Deutschland noch ziemlich am Anfang stehen. Wenn wir uns anschauen, wer die erfolgreichen Self-Publisher hierzulande sind und wie sie vorgehen, dann finden wir da noch verhältnismäßig häufig Zufallserfolge. In den USA scheinen mir viele Self-Publisher wie Tina Folsom hingegen schon professioneller aufgestellt zu sein und methodischer vorzugehen. Ein Problem anderer Natur ist, dass das Verkaufen an sich in Deutschland einen eher schlechten Ruf hat. Das Verkaufen wird hier gern in die Nähe des Sich-Verkaufens gerückt. Etwas mehr Unternehmer-Denke auch unter Kreativen täte der Gesamtentwicklung gut. Das wird aber kommen, da bin ich optimistisch. Der ganze Bereich professionalisiert sich ja gerade merklich.

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