Interview mit Angelika Jahr-Stilcken

Vita:

Angelika Jahr-Stilcken geboren in Berlin. Studium in Hamburg und München Psychologie, Germanistik und Philosophie, Trainee in New York, Time Magazin, McCalls und Glamour. Redakteurin, Chefredakteurin, Verlagsgeschäftsführerin und journalistisches Vorstandsmitglied bei Gruner + Jahr. Seit April 2008 Aufsichtsrat Gruner + Jahr.

Es wird darüber spekuliert, ob uns das Netz zu schlechteren Menschen macht. Aber sind nicht wir Menschen es, die das Internet benutzen? Wenn das so ist, brauchen wir vielleicht eine Kindersicherung für uns selbst?

Unbestritten ist: Das Internet ist nicht ungefährlich, von Pädophilen bis zu Extremisten, alle benutzen es für ihr Geschäft. Und dass die meist angeklickten Seiten pornografisch sind, spricht auch nicht für die User. Weil es technisch unmöglich ist, das Netz zu kontrollieren, muss man die User besser informieren, das heißt, man muss sie warnen. Besonders die Jugendlichen, denn die sind es, die am leichtesten zu manipulieren sind. Das Netz macht uns nicht zu schlechteren Menschen. Aber es ist eine Gefahr für User, die die Gefahren im Netz nicht erkennen oder unterschätzen.

Menschen haben Angst, dass man ihre Häuser fotografiert. Dabei nutzen viele Menschen, die ich kenne, leidenschaftlich gerne Google-Street-View. Bekämpfen wir am Ende etwas, das uns selbst gefällt?

Google Street View hatte  jedem Hausbesitzer oder Mieter die Möglichkeit gegeben, die Aufnahmen ihrer Häuser unkenntlich zu machen. Inzwischen nutzen die meisten  Street View mit Vergnügen, die anderen wollen ihre Häuser – warum auch immer – darin nicht sehen. Jeder wie er will. Wo ist das Problem?

Es ist nur natürlich, dass Verbrechen im Netz den Verbrechen in der realen Welt ähneln. Es wird jedoch so getan, als ob das Netz nur aus Cybermobbing, Kinderpornografie und Lynchjustiz bestehe. Wer profitiert von dem schlechten Ruf des Netzes?

Wer behauptet, dass das Internet nur aus Kriminellen besteht? Das wäre mir neu. Und, dass die wachsende Kriminalität im Internet kritisiert wird, ist völlig normal. Von dieser Kritik profitieren allein die User, die man vorwarnt, damit sie in keine Falle tappen. Das ist doch okay.

Im Fall einer Datenauswertung hätte eine Regierung sämtliche Informationen über meine Person. Wie wahrscheinlich ist es, dass irgendwann ein Chip entwickelt wird, der unsere Daten (Krankheiten, Berufserfahrungen, Liebesbeziehungen, Wohnortwechsel, moralische Fehlverhalten) sammelt, speichert und ggf. offenlegt? Und selbst wenn, wäre dies schlimm?

So ein Chip  ist nach meiner Meinung unvorstellbar, denn das wäre die totale Überwachung. Aber dazu wird es nicht kommen, das würden sich die Menschen nicht gefallen lassen.

Angst ist das Thema unserer Zeit. Warum sind wir Deutschen so ängstlich? Warum brauchen wir immer so lange, bis wir uns an eine mediale Veränderung gewöhnen?

Alle Menschen haben Angst vor Veränderungen, sie lieben das Gewohnte. Außerdem haben wir Deutsche ein großes Sicherheitsbedürfnis, was die unzähligen Versicherungen, die wir abschließen, beweisen. Vorsicht hat auch immer etwas mit Angst zu tun. Ich denke, das ist eine Frage der Mentalität. Aber dass wir länger brauchen als andere, um uns an mediale Veränderungen zu gewöhnen, glaube ich nicht.

Die Urheberrechtsdebatte ist nicht neu. Wie könnte das Netz von Künstlern, Musikfirmen und Endverbrauchern verbessert werden? Oder anders gefragt: Wenn wir einen Medienminister hätten, was könnte er tun?

Ganz einfach: Ein Medienminister müsste das Urheberrecht mit allen (juristischen) Mitteln schützen und verteidigen. Mit noch mehr Engagement als bisher. So, wie heute zum Beispiel gegen Raubkopien vorgegangen wird.

Haben die Menschen es heutzutage leichter, mit Hilfe des Netzes Karriere zu machen?

Sicher hilft das Netz, sich über Berufschancen zu informieren und Kontakte zu knüpfen. Und das kann natürlich auch der Karriere nützen. Aber zu einer Karriere gehört mehr als das Netz!

Männer verbandeln sich gerne im Job und halten zusammen. Frauen, so scheint es, kämpfen gerne für sich alleine im Haifischbecken der Macht. Warum vernetzen sich Frauen nicht gerne untereinander?

Männer waren sehr lange unter sich was Job und Karriere betrifft, Frauen sind gerade dabei durchzustarten. Und sie sind auch dabei, sich untereinander zu vernetzen, weil sie erkannt haben, wie wichtig Netzwerke und Kontakte sind. In spätestens zehn Jahren gibt es da keinen Unterschied mehr.

Frauen möchten gerne Karriere machen, aber auch irgendwann Kinder bekommen. Sollte ich mich als Frau also lieber heute als morgen auf die digitalen Medien stürzen? Dann könnte ich zumindest bequem von zu Hause arbeiten. (Oder am See, dank iPhone.)

Es gibt sicher viele Jobs, die man dank Internet bequem von zuhause aus erledigen kann. Aber kleine Kinder wollen ihre Mutter mit Haut und Haaren, wenn sie zuhause ist. Arbeiten hinter verschlossener Tür geht nicht! Karriere und Kinder funktioniert nur, wenn man einen zuverlässigen liebevollen Mutter-Ersatz hat. Das kann die Kita sein oder auch ein anderes Familienmitglied oder Kindermädchen. Wer Karriere machen will muss präsent in seiner Firma sein und sich voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren können. Die Freude auf beiden Seiten, die Intensität zwischen Mutter und Kind ist dann umso größer am Morgen, am Abend und am Wochenende – nicht zu vergessen die gemeinsamen Ferien.

Wenn es das Netz noch nicht gäbe, würden Sie es gerne erfinden?

Jeder Journalist würde die Frage mit JA beantworten. Ein Beispiel: Früher war jede Recherche eine mittlere Doktorarbeit, da wurde in Archiven gewühlt, Akten studiert, telefoniert, Briefe geschrieben und tagelang auf Antworten gewartet. Heute genügen ein paar Klicks und man ist auf dem neuesten Stand. Wunderbar.

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