Interview mit Andreas Hummelmeier

A_Hummelmeier_picWer bist du und was machst du?
Mein Name ist Andreas Hummelmeier. Ich leite die Redaktion von tagesschau.de, dem Nachrichtenportal der ARD im Internet. Außerdem bin ich verantwortlich für die tagesschau-Nachrichten im ARD-Text.

Dein aktueller Fang?
Wir bereiten uns gerade ganz intensiv auf die Bundestagswahl im Herbst und auf die Landtagswahlen in Bayern und Hessen vor. Aus diesem Grund planen wir ein neues Tool, das unser Nachrichtenangebot, die Wahlsendungen im Fernsehen und die Social-Media-Reaktionen darauf online in einer Darstellung zusammenführen soll. Starten werden wir damit im August, zu den ersten Wahlsendungen.

Wie hast du die Tagesschau-App-Debatte empfunden? Lass uns in deine Seele blicken: Welche Gefühle hat die Diskussion bei dir ausgelöst?
Ambivalent. Einerseits zeigt es, wie ernst unser Angebot von anderen Anbietern genommen wird. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk von allen Bürgern finanziert wird. Sein Auftrag ist es unter anderem, allen Bürgern Nachrichten zu liefern und ihnen so die Teilhabe an öffentlichen Geschehen zu ermöglich. Alle Menschen sollen Zugang zu Informationen haben, ohne dass sie extra dafür bezahlen müssen. Aus unserer Sicht gilt das auch für den Online-Verbreitungsweg und die App, die ja keine anderen Inhalte hat als die Webseite. Dem steht allerdings das Interesse der Verleger entgegen, die für ihre Angebote eine Finanzierungsmöglichkeit finden müssen. Dieser Konflikt wird jetzt am Beispiel der Tagesschau-App ausgetragen. Ich bin mir jedoch sicher, dass sich am Ende ein Kompromiss finden wird. Es macht ja keinen Sinn, dass sich Qualitätsmedien gegenseitig aus dem Weg klagen, es muss ein gutes Miteinander geben. Wenn neue Medien entstehen, ist es häufig so, dass es Unsicherheiten und Unklarheiten gibt und das muss nun geklärt werden.

Die ARD hinkt ein bisschen dem ZDF hinterher und wird des Öfteren angefeindet. Gerade die Tagesschau ist zur Zielscheibe geworden. Wie geht ihr mit Kritik, die analog und online gefischt wird, um?
Wir nehmen inhaltliche Kritik ernst und reagieren darauf. Aber man muss die Fakten betrachten. Die Tagesschau um 20:00 Uhr hat derzeit rund 9 Mio. Zuschauer, sie ist die erfolgreichste Nachrichtensendung Deutschlands. Gerade hat eine aktuelle Umfrage ergeben, dass für die meisten Menschen die Fernsehnachrichten nach wie vor die wichtigste Informationsquelle sind. Irgendwas scheinen wir also nicht ganz so falsch zu machen. Ich habe auch den Eindruck, dass es sich bei der Tagesschau um ein Format handelt, das Zuschauer in allen Schichten und Altersgruppen sehr zu schätzen wissen.

Wo siehst du bei der tagesschau.de Verbesserungspotential?
Erst Ende April haben wir unsere Seite relauncht. Wir haben die aktuellen Entwicklungen aufgegriffen, sind multimedialer geworden. Wir haben sehr viele Videos, sehr viel Audio und schauen auch sehr darauf, dass weiter an den Verbreitungswegen gearbeitet wird. Gerade die mobile Nutzung hat unsere Erwartungen deutlich übertroffen und wir richten uns auf weitere Nutzungsmöglichkeiten ein.

Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass wir unsere Präsenz bei Twitter und Facebook noch verbessern könnten. Wir könnten noch häufiger twittern und die Entwicklung von aktuellen Ereignissen stärker begleiten. Wir möchten in Zukunft auch stärker auf User-Reaktionen eingehen. Man muss jedoch auch schauen, wo man seine Ressourcen einsetzt.

Welches Budget gibt es z.B. für Twitter und Co.? Wer entscheidet das?
Wir haben jetzt nicht mehr Budget, nur weil es Twitter gibt. Wir müssen also umschichten und Prioritäten setzen. Nachrichten sollten meiner Ansicht nach immer absolute Priorität haben, wir sind ja ein Nachrichtenportal. Alles andere kommt danach. Andererseits verändert sich das Nutzungsverhalten hin zum Austausch. Wir wollen den Leuten auch zeigen, dass wir sie wahrnehmen und uns auf sie einstellen. Gleichzeitig müssen wir auch darauf achten, dass das Ganze nicht verwässert wird zum belanglosen.Geschwätz. Das ist ein nicht immer einfacher Spagat. Bei Twitter sind meiner Ansicht nach sehr netzaffine Menschen unterwegs – und noch nicht der Durchschnitt der Bevölkerung. Auch die Nutzerzahlen sind noch übersichtlich. Mich hat aber zum Beispiel beeindruckt, welche Wirkung #Aufschrei mit sich gebracht hat. Das hat mir noch einmal verdeutlicht, wie wichtig dieses Medium inzwischen ist. Wir sehen, dass es Bewegung im Netz gibt und Twitter an Relevanz gewinnt.

Facebook oder Twitter – welches soziale Netzwerk ist dir am wichtigsten für die Kommunikation und warum?
Ich möchte mich ungern festlegen. Wenn wir dieses Gespräch vor drei Jahren geführt hätten, hätten wir wahrscheinlich über die Relevanz von StudiVZ geredet. Und nochmals ein paar Jahre zurück, über MySpace. Wichtig ist doch nur, dass wir die Entwicklung im Blick behalten und weitermachen. Daher: Wir wollen so flexibel sein, dass wir auf neue Trends und neue Plattformen reagieren können.

Wo liegen in diesen Zeiten deiner Meinung nach die Chancen des ÖR-Rundfunks durch die Digitalisierung?
Meiner Einschätzung nach ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine sehr akzeptierte Quelle für Nachrichten, aber auch für fiktionale Formate wie zum Beispiel den Tatort, für Unterhaltungssendungen, Sportberichte, Dokumentationen und Reportagen. Wir müssen diese Marken pflegen und dürfen das Vertrauen, das uns entgegengebracht wird, nicht enttäuschen. Da sehe ich eine Aufgabe und den Zweck des öffentlich-rechtlichen Nachrichtenangebots: Unter den vielen Meldungen und Meinungen, die alltäglich verbreitet werden, die relevanten Themen auszuwählen und zu gewichten und so anzubieten, so dass jeder Nutzer in jedem Moment erfahren kann, was wichtig ist und ob die Welt eigentlich noch steht.
Der ÖR-Rundfunk ist meiner Ansicht nach wichtig für das Funktionieren einer Demokratie. Ein von der Allgemeinheit finanziertes System sieht sich aber auch jeden Tag in der Pflicht, sich durch seine Arbeit zu legitimieren. Die ARD mit ihrer föderalen Struktur bekommt das sehr gut hin. Die Vielfalt an Meinungen ist eine Qualität an sich.

Wo liegen deiner Meinung nach konkret die Chancen für politische Nachrichtenformate wie die Tagesschau?
Wir werden uns auch in Zukunft mit den klassischen Nachrichtenkriterien wie Relevanz und Neuigkeitswert orientieren. Wir wollen ein Angebot für alle machen, nicht Zielgruppen fokussiert arbeiten. Wir möchten ganz bewusst ein Kontrastprogramm bieten zu all den anderen knallbunten, skandalisierenden Formaten, die sonst so unterwegs sind.

Bist du – was den Stand der digitalen Möglichkeiten angeht – verwirrt oder glücklich?
Manchmal kann Verwirrung auch glücklich machen. Ich finde es ein sehr spannendes Medium, weil sich jeden Tag etwas verändert. Ich persönlich fand den Begriff des Neulands ja gar nicht so schlecht. Es macht Spaß, bei so etwas mit dabei zu sein, bei etwas, das sich so schnell und unplanbar verändert.

(Bildrechte/Fotograf: Wulf Rohwedder)

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